Szene. Zeitlos, ortlos
für Tenor, Bariton und fünf Instrumente frei nach dem älteren und jüngeren Hildebrandslied (9./15. Jahrhundert)
Werkeinführung
Für meine Vertonung des Hildebrandsliedes Szene. Zeitlos, ortlos habe ich das ältere Hildebrandslied aus dem 9. Jahrhundert mit dem jüngeren aus dem 15. Jahrhundert kompiliert und in heutiges deutsch umgeschrieben, dabei aber fast alles, was die Zeit und den Ort der archetypischen Begegnung zwischen Vater und Sohn definiert, weggelassen. Die Szene wird also abstrahiert, zeit- und ortlos gemacht. Musikalisch habe ich versucht, eine persönlich abstrahierte „pseudo-mittelalterliche“ Grundtönung zu finden: z.B. immer wieder einfache Gesangslinien, die durch „ungenaues unisono“ des Ensembles aufgefächert werden.
In der zentralen Kampfszene (vor der das ältere Hildebrandslied abbricht) tauchen einzelne Wortfetzen aus dem bisherigen Geschehen isoliert und ineinander verschränkt wieder auf. Es wird berichtet, dass im Augenblick des Sterbens einzelne Sequenzen des eigenen Lebens wie im Zeitraffer vor dem inneren Auge ablaufen sollen – darauf rekurriert diese Passage.
Ganz am Ende montiere ich ein Fremd-Zitat: die vierstimmige Motette Mitten wir im Leben sind von Balthasar Resinarius (+1544), die durch zusätzliche Stimmen verzerrt und überhöht wird.
Szene. Zeitlos, ortlos ist meinem Vater gewidmet.
Text
(freie Übertragung nach dem älteren und jüngeren Hildebrandslied von Gerald Resch)
Ich will nach Hause reiten
Wer wird mir die Wege weisen
Fremd sind sie mir geworden
In den vielen Jahren
Da begegnet mir
Ein stolzer junger Kämpfer
Wer ist dein Vater, Kind?
Unsere Leute, alte und kluge
Die früher lebten
Haben mir gesagt
Dass mein Vater Hildebrand heiße
Ich heiße Hadubrand
Vor vielen Jahren
Ritt er nach Osten
Dabei ließ er seine junge Frau
Verlassen zurück
Und sein unerwachsenes Kind
Ohne Erbe
Er lebt nicht mehr
Niemals suche mit so nahen Verwandten den Kampf
Ich bin der alte Hildebrand!
Dein liebster Vater!
Diesen Ring hier schenke ich Dir!
Mir sagten unsere Leute
Dass Hildebrand tot ist
Du willst mich blenden
Du hältst dich für schlau
Lockst mich mit Geschenken
Und willst mein Leben
Unheil geschieht
Nun soll mich der eigene Sohn
Mit dem Eisen zerschlagen
Oder ich erschlage ihn selbst
Ich sag dir, du alter Mann:
Dein Blut musst du mir geben
Willst du dein Leben behalten
Leicht kannst du mir altem Mann
Das Leben nehmen
Wenn du musst so tu’s.
Nach Hause
Mein Vater
Fremd
Verlassen
In den vielen Jahren
Lebt nicht mehr
Niemals suche den Kampf
Tot ist
Dein Liebster Vater
Du willst mich blenden
Willst mein Leben
Unheil geschieht
Du alter Mann
Der eigene Sohn
Dein Blut
Das Leben
Willst du dein Leben?
Nehmen wenn du musst so tu’s
MITTEN WIR IM LEBEN SIND
MIT DEM TOD UMFANGEN
DU EWIGER GOTT
LASS UNS NICHT VERSINKEN
IN DES BITTERN TODES NOT.